Einführung: Der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) hat am 27.12.2024 die Anträge zweier Antragstellerinnen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen gegen einen Besitzeinweisungsbeschluss abgelehnt. Der Fall betrifft die vorzeitige Besitzeinweisung für den Bau einer 380-kV-Höchstspannungsfreileitung und wirft wichtige Fragen zum Verhältnis von öffentlichem Interesse an der Energieversorgung und privaten Eigentumsrechten auf.
Hintergrund: Die Antragstellerinnen, eine private Grundstückseigentümerin und eine Stadt mit einer Dienstbarkeit für eine Trinkwasserleitung auf den betroffenen Grundstücken, klagten gegen die vorzeitige Besitzeinweisung für den Bauabschnitt Attendorn - Landesgrenze Rheinland-Pfalz der Höchstspannungsleitung. Der Planfeststellungsbeschluss für das Projekt liegt bereits vor und wurde vom BVerwG bestätigt, jedoch mit Einschränkungen für bestimmte Teilbereiche. Die Antragstellerinnen argumentierten unter anderem, dass die Beweissicherung unzureichend sei, der zuständige Dezernent befangen und die Bestimmtheit des Besitzeinweisungsbeschlusses mangelhaft sei.
Rechtliche Fragen: Im Zentrum des Verfahrens standen Fragen zur Rechtmäßigkeit der vorzeitigen Besitzeinweisung nach § 44b EnWG. Der Senat prüfte, ob die Voraussetzungen für eine vorzeitige Besitzeinweisung vorlagen, insbesondere die Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses, die Dringlichkeit des Baubeginns und die Weigerung der Antragstellerin, den Besitz freiwillig zu überlassen. Weiterhin waren formelle und materielle Einwände der Antragstellerinnen gegen den Besitzeinweisungsbeschluss zu prüfen, darunter die Notwendigkeit einer Beweissicherung, die Befangenheit des Dezernenten, die Bestimmtheit des Besitzeinweisungsbeschlusses, die Deckung durch den Planfeststellungsbeschluss und die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Maßnahmen.
Entscheidung und Begründung: Das BVerwG lehnte die Anträge ab. Der Senat argumentierte, dass das öffentliche Interesse an der zügigen Realisierung des Energieprojekts die privaten Interessen der Antragstellerinnen überwiege. Der Planfeststellungsbeschluss sei vollziehbar, und der sofortige Baubeginn sei aufgrund des vordringlichen Bedarfs an der neuen Leitung geboten. Die Antragstellerinnen hätten sich zudem geweigert, den Besitz freiwillig zu überlassen. Die formellen und materiellen Einwände der Antragstellerinnen wurden vom Senat zurückgewiesen. Insbesondere sah der Senat keine Notwendigkeit für eine Beweissicherung vor Beginn der mündlichen Verhandlung und keine Besorgnis der Befangenheit des Dezernenten. Der Besitzeinweisungsbeschluss sei zudem hinreichend bestimmt und von dem Planfeststellungsbeschluss gedeckt. Die angeordneten Maßnahmen seien nicht unverhältnismäßig.
Auswirkungen: Die Entscheidung stärkt die Position der Vorhabenträger bei der Durchsetzung von wichtigen Energieprojekten. Sie verdeutlicht den hohen Stellenwert, den der Gesetzgeber dem zügigen Ausbau der Energieinfrastruktur beimisst, und die eingeschränkten Möglichkeiten, dagegen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorzugehen. Gleichzeitig betont das Urteil die Bedeutung einer sorgfältigen Prüfung der Voraussetzungen für eine vorzeitige Besitzeinweisung im Einzelfall.
Schlussfolgerung: Die Entscheidung des BVerwG unterstreicht die Notwendigkeit, die Interessen von Energieversorgung und privaten Eigentumsrechten sorgfältig abzuwägen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung in diesem Bereich weiterentwickeln wird und welche Auswirkungen die Entscheidung auf zukünftige Infrastrukturprojekte haben wird.
Quelle: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.12.2024 - 11 VR 16/24