Einführung: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Anträge mehrerer Kläger gegen eine vorzeitige Besitzeinweisung für den Bau einer Höchstspannungsleitung abgelehnt. Dieser Beschluss hat Bedeutung für die laufenden Netzausbauvorhaben in Deutschland und verdeutlicht die Abwägung zwischen privaten Eigentumsrechten und dem öffentlichen Interesse an der Energieversorgung.
Hintergrund des Falls: Der Fall betrifft den Bauabschnitt C der 380-kV-Höchstspannungsleitung Attendorn - Landesgrenze Rheinland-Pfalz, Teil des Projekts "Neubau Höchstspannungsleitung Kruckel - Dauersberg". Die Antragsteller, Anteilsberechtigte einer Waldgenossenschaft und eine Stadt mit einer Dienstbarkeit für eine Trinkwasserleitung auf den betroffenen Grundstücken, wehrten sich gegen die vorzeitige Besitzeinweisung durch die Bezirksregierung Arnsberg zugunsten des Vorhabenträgers. Der Planfeststellungsbeschluss für das Projekt liegt bereits vor, Klagen hiergegen wurden jedoch teilweise abgewiesen bzw. nicht erhoben.
Rechtliche Fragen: Im Zentrum des Verfahrens standen Fragen der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit der vorzeitigen Besitzeinweisung nach § 44b EnWG. Die Kläger rügten unter anderem die fehlende Beweissicherung des Grundstückszustands vor Baubeginn, die Befangenheit des entscheidenden Dezernenten, mangelnde Anhörung zu einer Stellungnahme des Vorhabenträgers sowie die Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit des Besitzeinweisungsbeschlusses. Weiterhin wurde die Zulässigkeit der Besitzeinweisung im Hinblick auf die Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses und die Notwendigkeit des sofortigen Baubeginns hinterfragt.
Entscheidung und Begründung: Das Bundesverwaltungsgericht lehnte die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen ab. Es sah die vorzeitige Besitzeinweisung als rechtmäßig an. Die formellen Rügen wurden zurückgewiesen, da die Beweissicherung keine zwingende Voraussetzung sei und die behauptete Befangenheit nicht nachgewiesen werden konnte. Auch die fehlende Anhörung wurde als nicht entscheidungserheblich bewertet. In der materiellen Prüfung bestätigte das Gericht die Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses und die Dringlichkeit des Baubeginns, insbesondere im Hinblick auf die Mitführung einer 110-kV-Leitung eines anderen Energieversorgungsunternehmens. Die Einwände der Kläger bezüglich möglicher Beeinträchtigungen der Trinkwasserversorgung wurden zurückgewiesen, da diese im Besitzeinweisungsverfahren nicht relevant seien und im Planfeststellungsbeschluss bereits berücksichtigt bzw. ausgeräumt wurden. Schließlich sah das Gericht den Besitzeinweisungsbeschluss als hinreichend bestimmt und verhältnismäßig an.
Auswirkungen: Die Entscheidung stärkt die Position der Vorhabenträger bei Netzausbauprojekten und unterstreicht den Vorrang des öffentlichen Interesses an einer sicheren Energieversorgung. Gleichzeitig verdeutlicht sie die Grenzen der gerichtlichen Überprüfung im Verfahren der vorzeitigen Besitzeinweisung und die Bedeutung eines rechtskonformen Planfeststellungsverfahrens.
Schlussfolgerung: Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts dürfte wegweisend für zukünftige Besitzeinweisungsverfahren im Rahmen des Netzausbaus sein. Er zeigt, dass die Gerichte die gesetzlichen Vorgaben des § 44b EnWG eng auslegen und den sofortigen Baubeginn in der Regel befürworten, sofern die formellen und materiellen Voraussetzungen erfüllt sind. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich diese Rechtsprechung auf zukünftige Gerichtsverfahren und die Praxis der Behörden auswirken wird.
Quelle: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.12.2024 - 11 VR 17/24