Ein kürzlich vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entschiedener Fall beleuchtet die Grenzen der Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und die Anwendbarkeit des Rechtsmissbrauchseinwands. Das Urteil verdeutlicht, dass eine systematische und ausschließlich auf finanzielle Entschädigung ausgerichtete Bewerbungsstrategie als Rechtsmissbrauch gewertet werden kann.
Der Kläger, ein ausgebildeter Industriekaufmann, bewarb sich wiederholt auf Stellenanzeigen für "Sekretärin" und leitete nach Ablehnung aufgrund seines Geschlechts Entschädigungsprozesse ein. Er verwendete dabei standardisierte Anschreiben, die wenig Bezug zu den konkreten Stellenanforderungen aufwiesen und teilweise Absagen geradezu provozierten. Das BAG stellte fest, dass der Kläger diese Strategie über einen längeren Zeitraum und bundesweit verfolgte. Im konkreten Fall bewarb sich der Kläger bei einer Ingenieurgesellschaft in Dortmund, obwohl sein Wohnort 170 km entfernt lag und er gleichzeitig ein Vollzeitstudium absolvierte. Die Beklagte besetzte die Stelle mit einer weiblichen Bewerberin, woraufhin der Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangte.
Zentrale Rechtsfrage war, ob das Entschädigungsverlangen des Klägers als Rechtsmissbrauch nach § 242 BGB zu werten ist. Hierzu prüfte das BAG das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements des Rechtsmissbrauchs. Objektiv musste sich aus den Umständen ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der AGG-Vorgaben das Ziel des Gesetzes, Diskriminierung zu verhindern, nicht erreicht wurde. Subjektiv musste die Absicht des Klägers erkennbar sein, sich einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen.
Das BAG wies die Revision des Klägers zurück und bestätigte das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm. Es bejahte den Rechtsmissbrauchseinwand. Das Gericht führte aus, dass der Kläger systematisch und zielgerichtet vorgegangen sei, um sich durch Entschädigungsansprüche eine Einnahmequelle zu verschaffen, ohne ein ernsthaftes Interesse an den Stellen zu haben. Die räumliche Entfernung, das standardisierte Anschreiben, der fehlende Bezug zu den Stellenanforderungen und die Vielzahl der Klagen in anderen Verfahren sprachen für diese Annahme. Das Gericht betonte, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für den Rechtsmissbrauch trage und dieser im vorliegenden Fall ausreichend belegt sei.
Das Urteil bekräftigt die Rechtsprechung des BAG zum Rechtsmissbrauch bei Entschädigungsansprüchen nach dem AGG. Es verdeutlicht, dass eine rein auf finanzielle Entschädigung ausgerichtete Bewerbungsstrategie ohne ernsthaftes Interesse an der Stelle nicht vom Schutz des AGG umfasst ist. Das Urteil stärkt die Position von Arbeitgebern gegenüber missbräuchlichen Entschädigungsklagen.
Das BAG hat mit diesem Urteil klare Grenzen für die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nach dem AGG gezogen. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Rechtsprechung in Zukunft auf das Verhalten von Bewerbern und die Anzahl der Entschädigungsklagen auswirken wird. Das Urteil unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Prüfung der Umstände im Einzelfall, um Rechtsmissbrauch zu verhindern und den eigentlichen Zweck des AGG, die Bekämpfung von Diskriminierung, zu gewährleisten.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.09.2024 - 8 AZR 21/24