Einleitung: Ein kürzlich vom Bundesgerichtshof (BGH) entschiedener Fall beleuchtet die rechtlichen Grenzen richterlichen Handelns im Kontext der Corona-Pandemie. Das Urteil verdeutlicht die Bedeutung der richterlichen Unparteilichkeit und Neutralität, insbesondere in sensiblen gesellschaftlichen Kontexten.
Fallhintergrund: Ein Richter am Amtsgericht W. fällte im April 2021 eine einstweilige Anordnung, die Schulen untersagte, Maskenpflicht, Abstandsregeln und Testpflichten für Schüler anzuordnen. Der Richter hatte sich zuvor öffentlich kritisch zu den Corona-Maßnahmen geäußert. Das Verfahren wurde durch Eltern angeregt, die vom Richter über seine Geschäftsverteilung und die Notwendigkeit von Stillschweigen informiert wurden. Der Richter kontaktierte zudem vor Verfahrensbeginn Sachverständige, die den Corona-Maßnahmen kritisch gegenüberstanden, und kommunizierte mit ihnen über private E-Mail-Adressen. Er erließ die einstweilige Anordnung, bevor alle Verfahrensbeteiligten angehört und Stellungnahmen berücksichtigt wurden. Das Thüringer Oberlandesgericht hob die einstweilige Anordnung auf und stellte die Unzulässigkeit des Rechtswegs fest. Diese Entscheidung wurde vom BGH bestätigt.
Rechtliche Probleme: Kern der Anklage war der Vorwurf der Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB. Die zentrale Frage war, ob der Richter durch sein Vorgehen das Recht in schwerwiegender Weise gebeugt hat. Es ging um die Verletzung der richterlichen Neutralitätspflicht, die ergebnisorientierte Auswahl der Sachverständigen und die Missachtung fundamentaler Verfahrensvorschriften.
Entscheidung und Begründung: Der BGH verwarf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft und bestätigte das Urteil des Landgerichts Erfurt, das den Angeklagten wegen Rechtsbeugung verurteilt hatte. Der BGH stellte fest, dass der Richter durch sein Verhalten elementare Verstöße gegen Verfahrensvorschriften begangen und die richterliche Neutralitätspflicht verletzt hat. Die heimliche und verschleiernde Vorgehensweise des Richters, die ergebnisorientierte Auswahl der Sachverständigen und die Missachtung des rechtlichen Gehörs der Verfahrensbeteiligten wurden als schwerwiegende Rechtsbrüche gewertet. Die materielle Richtigkeit der Entscheidung spielte aufgrund des Gewichts der Verfahrensverstöße keine Rolle.
Auswirkungen: Das Urteil unterstreicht die Bedeutung der richterlichen Unparteilichkeit und die Notwendigkeit der Einhaltung von Verfahrensvorschriften, insbesondere in gesellschaftlich relevanten Verfahren. Es verdeutlicht, dass auch in Krisenzeiten die rechtsstaatlichen Grundsätze gewahrt werden müssen.
Schlussfolgerung: Der Fall des Richters am Amtsgericht W. zeigt die Grenzen richterlichen Handelns auf und bekräftigt die Wichtigkeit eines fairen Verfahrens. Das Urteil des BGH setzt ein klares Zeichen für die Integrität der Rechtsprechung und das Vertrauen der Bürger in die Justiz.
Quelle: Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.11.2024 - 2 StR 54/24