Einführung: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einem wegweisenden Beschluss vom 14.11.2024 (1 BvL 3/22) entschieden, dass die nordrhein-westfälische Regelung zur längerfristigen Observation mit verdecktem Einsatz technischer Mittel zur Bildaufzeichnung das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Die Entscheidung hat weitreichende Folgen für die Polizeiarbeit und den Datenschutz in Deutschland.
Der Beschluss des BVerfG erging auf eine Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 31. Mai 2022 (Az: 6 C 2/20). Das BVerwG hatte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage in Nordrhein-Westfalen, die die Polizeibehörden zur längerfristigen Observation unter gleichzeitigem Einsatz von technischen Mitteln zur Anfertigung von Bildaufnahmen und -aufzeichnungen ermächtigte. Streitgegenständlich waren insbesondere §§ 16a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und § 17 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes (PolG NW) vom 25.07.2003.
Kern der rechtlichen Auseinandersetzung war die Frage, ob die gesetzlichen Regelungen in Nordrhein-Westfalen mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) vereinbar sind. Das BVerfG hatte zu prüfen, ob die Eingriffsschwelle für derart intensive Überwachungsmaßnahmen ausreichend definiert war und ob die Regelungen den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügen.
Das BVerfG entschied, dass die beanstandeten Regelungen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen. Das Gericht stellte fest, dass die präventiv ausgestaltete längerfristige Observation mit verdecktem Einsatz technischer Mittel zur Bildaufzeichnung einen schweren Eingriff in dieses Grundrecht darstellt. Nach Ansicht des BVerfG verlangt die verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines solchen Eingriffs im Bereich der Gefahrenabwehr entweder eine konkrete Gefahr oder zumindest eine konkretisierte Gefahr. Es müsse gewährleistet sein, dass eine Gefährdung der geschützten Rechtsgüter im Einzelfall hinreichend konkret absehbar ist und der Betroffene aus Sicht eines verständigen Dritten den objektiven Umständen nach in die Gefahr verfangen ist. Die nordrhein-westfälischen Regelungen genügten diesen Anforderungen nicht.
Die Entscheidung des BVerfG hat erhebliche Auswirkungen auf die Polizeipraxis in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, die Regelungen bis zum 31.12.2025 neu zu fassen und an die Vorgaben des BVerfG anzupassen. Die Entscheidung dürfte auch Einfluss auf die Gesetzgebung anderer Bundesländer haben und könnte zu einer bundesweiten Vereinheitlichung der Rechtsgrundlagen für verdeckte Observationsmaßnahmen führen.
Der Beschluss des BVerfG stärkt den Schutz der informationellen Selbstbestimmung und setzt der Überwachung durch die Polizeibehörden klare Grenzen. Die Neuregelung der gesetzlichen Grundlagen wird zeigen, wie der Gesetzgeber die Vorgaben des BVerfG umsetzt und wie die Balance zwischen Sicherheitsinteressen und dem Schutz der Grundrechte in Zukunft ausgestaltet wird.
Quelle: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14.11.2024 - 1 BvL 3/22 (abrufbar über die Website des Bundesverfassungsgerichts).