Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 25. September 2024 ein wichtiges Urteil zur Volksverhetzung gefällt (Az. 3 StR 32/24). Der Fall betrifft die Frage, ob die Äußerungen der Angeklagten in einem an das Finanzamt gerichteten Schreiben den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen. Das Urteil klärt die Grenzen der Meinungsfreiheit im Kontext von Holocaustleugnung und ausländerfeindlichen Äußerungen, insbesondere im Hinblick auf das Verbreitungsmerkmal.
Die Angeklagte, bereits wegen Volksverhetzung vorbestraft, sandte im Oktober 2021 ein 339-seitiges Schreiben per Fax an das Finanzamt. Darin bestritt sie die Rechtmäßigkeit von Steuerbescheiden und äußerte sich über Corona-Maßnahmen sowie ausführlich über die "Verfolgung sogenannter 'Holocaustleugner'". Sie leugnete mehrfach den Holocaust und diskreditierte pauschal Menschen aus anderen Ländern als Straftäter. Die Angeklagte ging davon aus, dass das Schreiben als Einspruch behandelt und nur von wenigen Mitarbeitern des Finanzamts gelesen würde. Sie beabsichtigte keine weitere Verbreitung des Schreibens.
Das Landgericht München II sprach die Angeklagte frei. Die zentrale Rechtsfrage, die der BGH zu klären hatte, war, ob die Äußerungen der Angeklagten den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB erfüllen. Insbesondere war zu prüfen, ob die Angeklagte den Inhalt ihres Schreibens "verbreitet" hat und ob die Äußerungen geeignet waren, den öffentlichen Frieden zu stören.
Der BGH bestätigte den Freispruch. Er argumentierte, dass die Angeklagte den Inhalt ihres Schreibens nicht "verbreitet" habe. Obwohl sie die Kenntnisnahme durch mehrere Mitarbeiter des Finanzamts für möglich hielt, handelte es sich dabei um einen überschaubaren und durch rechtliche Vorgaben gebundenen Personenkreis. Die Möglichkeit der Weiterleitung an Strafverfolgungsbehörden begründet ebenfalls keine unkontrollierbare Verbreitung. Der BGH betonte, dass die Strafbarkeit nicht von der Vorstellung des Täters über die Möglichkeit der eigenen Strafverfolgung abhängen darf. Auch der Tatbestand des § 130 Abs. 1 StGB sei nicht erfüllt, da die Handlung nicht geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören. Die Angeklagte rechnete nicht mit einer Kenntnisnahme durch eine größere Öffentlichkeit.
Das Urteil präzisiert die Anforderungen an das Verbreitungsmerkmal im Kontext der Volksverhetzung. Es unterstreicht, dass die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme durch einen begrenzten, rechtlich gebundenen Personenkreis keine Verbreitung darstellt. Das Urteil hat Bedeutung für die Abgrenzung zwischen Meinungsfreiheit und strafbarer Volksverhetzung, insbesondere im digitalen Zeitalter, wo die Verbreitung von Inhalten leicht möglich ist.
Der BGH hat die Grenzen der Strafbarkeit bei Äußerungen, die den Holocaust leugnen und Ausländer diskreditieren, in Bezug auf das Verbreitungsmerkmal klargestellt. Die Entscheidung betont die Bedeutung des Kontextes und der konkreten Umstände für die Beurteilung der Strafbarkeit. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Rechtsprechung in zukünftigen Fällen, insbesondere im Zusammenhang mit der Verbreitung von Inhalten im Internet, auswirken wird.
Quelle: BGH, Urteil vom 25.09.2024 - 3 StR 32/24 (abrufbar unter juris.bundesgerichtshof.de)