Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 16. Oktober 2024 ein Urteil des Landgerichts Braunschweig aufgehoben, das einen Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen hatte. Der Fall betrifft eine Messerstecherei, bei der der Nebenkläger lebensgefährlich verletzt wurde. Die Entscheidung des BGH ist bedeutsam für die Beweiswürdigung im Strafprozess, insbesondere bei der Bewertung von Geständnissen und Zeugenaussagen.
Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, am 28. April 2020 im Rahmen einer Auseinandersetzung in Seesen dem Nebenkläger mit einem Schraubendreher in den Kopf gestochen und ihn dabei lebensgefährlich verletzt zu haben. Das Landgericht Braunschweig sprach den Angeklagten im zweiten Rechtsgang frei, nachdem es im ersten Rechtsgang noch zu einer Verurteilung wegen versuchten Totschlags gekommen war. Diese Verurteilung wurde vom BGH aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Zentraler Punkt der rechtlichen Auseinandersetzung war die Frage nach der Täterschaft des Angeklagten. Das Landgericht stützte seinen Freispruch auf Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Geständnisses des Angeklagten und die mangelnde Überzeugungskraft der Beweise. Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger rügten in ihren Revisionen Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung.
Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts Göttingen. Der BGH stellte fest, dass die Beweiswürdigung des Landgerichts lückenhaft und fehlerhaft war. Insbesondere kritisierte der BGH, dass das Landgericht die Möglichkeit prozesstaktischer Erwägungen für die Inkonstanz in den Einlassungen des Angeklagten nicht berücksichtigt hatte. Weiterhin rügte der BGH, dass das Landgericht ein Geständnis des Angeklagten gegenüber einer Zeugin nicht ausreichend gewürdigt und die Hypothese eines „freiwilligen Bauernopfers“ unzureichend begründet hatte. Schließlich beanstandete der BGH die unzureichende Würdigung der Aussage des einzigen Belastungszeugen und das Fehlen einer Gesamtwürdigung aller Beweise.
Die Entscheidung des BGH verdeutlicht die hohen Anforderungen an die Beweiswürdigung im Strafprozess. Sie unterstreicht die Bedeutung einer lückenlosen und nachvollziehbaren Darlegung der Gründe für einen Freispruch. Der Fall zeigt auch die Schwierigkeiten bei der Bewertung von Geständnissen, insbesondere wenn diese im Laufe des Verfahrens variieren. Die Entscheidung des BGH stärkt die Rechte der Opfer von Straftaten, indem sie eine sorgfältige Prüfung aller Beweise fordert.
Der BGH hat mit seiner Entscheidung die Bedeutung einer sorgfältigen und vollständigen Beweiswürdigung im Strafprozess unterstrichen. Es bleibt abzuwarten, wie das Landgericht Göttingen im erneuten Verfahren die Beweise würdigen und ob es zu einer Verurteilung des Angeklagten kommen wird. Der Fall wird die juristische Diskussion zur Beweiswürdigung, insbesondere im Zusammenhang mit Geständnissen, weiter befördern.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. Oktober 2024 – 6 StR 199/24