BGH-Entscheidung zur Schuldfähigkeit bei mutmaßlicher Sexsomnie
Einleitung: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Beschluss vom 15. Januar 2025 (Az. 5 StR 434/24) ein Urteil des Landgerichts Lübeck aufgehoben, das einen Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs seines Sohnes verurteilt hatte. Der Fall wirft wichtige Fragen zur Beurteilung der Schuldfähigkeit bei mutmaßlicher Sexsomnie auf.
Sachverhalt
Der Angeklagte, Vater eines achtjährigen Jungen, wurde vom Landgericht Lübeck wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes und sexuellem Missbrauch eines Schutzbefohlenen verurteilt. Die Tat ereignete sich im März 2019. Der Angeklagte soll sich nach Alkoholkonsum zu seinem schlafenden Sohn ins Bett gelegt und sexuelle Handlungen an ihm vorgenommen haben. Das Landgericht stützte sich bei seiner Entscheidung maßgeblich auf die Einschätzung von psychiatrischen Sachverständigen, die eine Sexsomnie beim Angeklagten ausgeschlossen hatten.
Rechtliche Probleme
Zentraler Punkt der Revisionsverhandlungen vor dem BGH war die Frage, ob das Landgericht die Schuldfähigkeit des Angeklagten korrekt beurteilt hatte. Insbesondere ging es um die Möglichkeit einer Sexsomnie, einer Form des Schlafwandelns mit sexuellem Verhalten, als krankhafte seelische Störung im Sinne von § 20 StGB. Die Revisionen von Angeklagtem und Staatsanwaltschaft rügten die Beweiswürdigung des Landgerichts bezüglich der Anknüpfungstatsachen für die Schuldfähigkeitsbeurteilung.
Entscheidung und Begründung des BGH
Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf und verwies die Sache zur Neuverhandlung an eine andere Kammer. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Glaubwürdigkeit der Aussage einer Ex-Partnerin des Angeklagten, die sexsomnische Vorfälle geschildert hatte, sei lückenhaft. Das Landgericht habe relevante Umstände nicht ausreichend gewürdigt, insbesondere das Fehlen eines erkennbaren Motivs für eine Falschaussage der Zeugin. Auch die „lehrbuchartige“ Schilderung der Vorfälle durch die Zeugin dürfe nicht allein als Indiz für deren Unrichtigkeit gewertet werden. Der BGH konnte nicht ausschließen, dass das Landgericht bei vollständiger Beweiswürdigung zu einer anderen Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten gelangt wäre.
Auswirkungen
Die Entscheidung des BGH unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Beweiswürdigung bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit, insbesondere im Zusammenhang mit seltenen Diagnosen wie der Sexsomnie. Für die neue Verhandlung regte der BGH eine eingehendere Darlegung der wissenschaftlichen Kriterien für die Diagnose einer Sexsomnie und deren Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit an.
Schlussfolgerung
Der Fall verdeutlicht die Komplexität der Schuldfähigkeitsbeurteilung bei mutmaßlichem Schlafwandeln mit sexuellem Verhalten. Die Entscheidung des BGH betont die Notwendigkeit einer umfassenden Würdigung aller relevanten Umstände und einer fundierten Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu dieser seltenen Störung. Die Neuverhandlung des Falls wird zeigen, wie das neue Tatgericht die Vorgaben des BGH umsetzt und welche Konsequenzen sich daraus für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten ergeben.
Quelle: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. Januar 2025, Az. 5 StR 434/24 (abgerufen von der Website des Bundesgerichtshofs).