Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 15. Januar 2025 (Az. 2 StR 298/24) einen Teilfreispruch des Landgerichts Marburg aufgehoben, der einen Angeklagten von dem Vorwurf sexueller Übergriffe in Serie betraf. Die Entscheidung des BGH verdeutlicht die Anforderungen an die Konkretisierung gleichförmiger Serienstraftaten im Bereich des Sexualstrafrechts und die Berücksichtigung des schlafenden Zustands des Opfers als Grundlage für eine Verurteilung.
Das Landgericht Marburg hatte den Angeklagten wegen sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit Körperverletzung in zwei Fällen verurteilt, ihn jedoch von weiteren zehn angeklagten Sexualdelikten freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte dem Angeklagten zur Last, in der Zeit vom 1. Januar 2021 bis zum 27. August 2021 in mindestens zehn Fällen sexuelle Handlungen an seiner damaligen Partnerin vorgenommen zu haben, während diese schlief. Nach dem Erwachen der Partnerin habe er die Handlungen jeweils fortgesetzt, obwohl sie ihn zum Unterlassen aufgefordert habe.
Das Landgericht begründete den Teilfreispruch damit, dass es keine ausreichenden Feststellungen zu Tatzeitraum, Häufigkeit, Gegebenheiten und konkreten Umständen der Übergriffe habe treffen können. Insbesondere sei nicht feststellbar gewesen, ob die Partnerin ihren entgegenstehenden Willen unmissverständlich zum Ausdruck gebracht habe. Der BGH rügte diese Begründung als rechtsfehlerhaft.
Der BGH hob den Teilfreispruch auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Der BGH stellte fest, dass das Landgericht die Anforderungen an die Konkretisierung gleichförmiger Serienstraftaten überspannt und die Möglichkeit einer Tatbestandsverwirklichung nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB übersehen habe. Nach dieser Vorschrift ist auch das Ausnutzen der Schlafenszeit des Opfers strafbar, da dieses nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern. Daher sei es nicht erforderlich, dass das Opfer seinen entgegenstehenden Willen in jedem einzelnen Fall konkret zum Ausdruck gebracht hat.
Weiterhin kritisierte der BGH, dass das Landgericht die unterschiedlichen Angaben der Nebenklägerin zur Häufigkeit der Übergriffe als Argument gegen eine Verurteilung herangezogen hatte. Solche Unstimmigkeiten seien bei gleichförmigen Serienstraftaten nicht ungewöhnlich und dürften eine Verurteilung nicht verhindern, solange das Gericht von einer Mindestanzahl von Taten überzeugt ist.
Die Entscheidung des BGH stärkt den Schutz von Opfern sexueller Übergriffe, insbesondere im Kontext von Beziehungen. Sie verdeutlicht, dass der Schlafzustand des Opfers als Grundlage für eine Verurteilung nach § 177 StGB ausreicht und dass an die Konkretisierung von Serienstraftaten keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen. Die Entscheidung dürfte die Rechtsprechung der Instanzgerichte beeinflussen und zu einer größeren Sensibilität im Umgang mit gleichgelagerten Fällen führen.
Das Urteil des BGH unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen bei der Beurteilung von Sexualdelikten in Serie. Es bleibt abzuwarten, wie die neue Verhandlung vor dem Landgericht Marburg verlaufen wird und ob die Entscheidung des BGH zu einer Verurteilung des Angeklagten in Bezug auf die weiteren angeklagten Taten führen wird.
Quelle: Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. Januar 2025, Az. 2 StR 298/24