Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 17. Dezember 2024 einen Beschluss (1 StR 429/24) zur Frage der Übersetzungspflicht von schriftlichen Urteilsgründen für nicht deutschsprachige Angeklagte gefasst. Der Fall betrifft die Revision einer Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts München II. Der BGH verwarf die Revision und präzisierte die Voraussetzungen für eine Übersetzungspflicht.
Die Angeklagte, die der deutschen Sprache nicht mächtig ist, wurde im Verfahren vor dem Landgericht München II wegen einer nicht näher spezifizierten Straftat verurteilt. Während der gesamten Hauptverhandlung stand ihr eine Dolmetscherin für die russische Sprache zur Verfügung. Nach Verlesung der Urteilsformel wurde die Angeklagte aufgrund wiederholter Störungen des Sitzungsablaufs vom Vorsitzenden aus dem Saal entfernt. Die Urteilsbegründung erfolgte in ihrer Abwesenheit, ihr Verteidiger blieb jedoch anwesend. Die Angeklagte erhielt anschließend eine schriftliche und übersetzte Rechtsmittelbelehrung. Ihr Antrag auf Übersetzung der schriftlichen Urteilsgründe wurde abgelehnt.
Die Angeklagte rügte die Verletzung des Fair-trial-Grundsatzes gemäß Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 Buchstabe e) EMRK in Verbindung mit § 187 Abs. 2 GVG, da die schriftlichen Urteilsgründe nicht in ihre Muttersprache übersetzt wurden. Kernfrage war, ob die nicht erfolgte Übersetzung der schriftlichen Urteilsgründe einen Verfahrensfehler darstellt, insbesondere unter Berücksichtigung der Entfernung der Angeklagten aus dem Saal.
Der BGH verwarf die Revision als unbegründet. Die Rüge wurde bereits als unzulässig erachtet, da die Angeklagte den Beschluss des Vorsitzenden zur Ablehnung der Übersetzung sowie die hiergegen gerichtete Beschwerde nicht ausreichend dargelegt hatte (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Darüber hinaus liege auch kein Verfahrensfehler vor. Der BGH argumentierte, dass eine schriftliche Übersetzung regelmäßig nicht notwendig sei, wenn die Angeklagte verteidigt ist und ihr die mündlichen Urteilsgründe übersetzt wurden. Die effektive Verteidigung sei in diesen Fällen ausreichend gewährleistet, da der Verteidiger das schriftliche Urteil kennt und mit der Angeklagten – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Dolmetschers – besprechen kann. Dies gelte auch dann, wenn die Angeklagte – wie hier – aufgrund eigenen Verschuldens aus der Hauptverhandlung entfernt wurde. Andernfalls könnte die Angeklagte durch ihr Fehlverhalten eine Übersetzung erzwingen und sich prozessual besser stellen als eine sich ordnungsgemäß verhaltende Angeklagte.
Der BGH betonte weiterhin, dass der Angeklagten die Möglichkeit offen stehe, sich selbst eine Übersetzung anfertigen zu lassen oder die schriftlichen Urteilsgründe mit ihrem Verteidiger und einem Dolmetscher zu erörtern. Ein berechtigtes Interesse an der Übersetzungsleistung durch das Gericht wurde darüber hinaus nicht gesehen.
Der Beschluss bekräftigt die bestehende Rechtsprechung des BGH zur Übersetzungspflicht von Urteilsgründen. Er verdeutlicht, dass eine Verteidigung durch einen Anwalt in Verbindung mit der Übersetzung der mündlichen Urteilsbegründung grundsätzlich ausreichend ist, um den Fair-trial-Grundsatz zu gewährleisten. Das eigene Fehlverhalten der Angeklagten, das zur Entfernung aus dem Saal führt, begründet keinen Anspruch auf eine Übersetzung der schriftlichen Urteilsgründe.
Der BGH stellt klar, dass die Übersetzungspflicht von Urteilsgründen im deutschen Strafverfahren eng begrenzt ist. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der anwaltlichen Vertretung und der mündlichen Urteilsbegründung für die Wahrung der Rechte nicht deutschsprachiger Angeklagter. Es bleibt abzuwarten, ob und wie diese Rechtsprechung auf zukünftige Fälle mit vergleichbaren Konstellationen angewendet wird.
Quelle: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. Dezember 2024 - 1 StR 429/24 (abgerufen vom deutschen Recht Ministerium)