Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 19. Februar 2025 einen Beschluss zur Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers in einem Verfahren wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gefällt. Der Beschluss verdeutlicht die hohen Anforderungen an die Notwendigkeit einer solchen Bestellung und bietet Einblicke in die Abwägungskriterien des Gerichts.
Vor dem Kammergericht läuft ein Verfahren gegen vier Angeklagte wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der im Gazastreifen agierenden HAMAS. Den drei Beschwerdeführern wurden bereits Pflichtverteidiger beigeordnet. Ihre Anträge auf Bestellung jeweils eines zweiten Pflichtverteidigers lehnte die Vorsitzende des Kammergerichts ab. Dagegen richteten sich die sofortigen Beschwerden der Angeklagten.
Kernfrage des Verfahrens war, ob die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO für die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers erfüllt sind. Hierzu sind die Kriterien der Notwendigkeit zur "Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens", insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, zu prüfen.
Der BGH verwarf die Beschwerden der Angeklagten. Die Ablehnung der Anträge durch die Vorsitzende des Kammergerichts wurde als vertretbar angesehen. Der BGH betonte, dass die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers nur in eng begrenzten Ausnahmefällen gerechtfertigt ist.
Im vorliegenden Fall sah der BGH weder den Umfang noch die rechtliche Komplexität des Verfahrens als ausreichend an, um die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers zu rechtfertigen. Obwohl der Aktenumfang beträchtlich und die Beweisaufnahme umfangreich ist, seien die tatsächlichen Vorwürfe überschaubar. Die bereits bestellten Verteidiger seien erfahrene Fachanwälte für Strafrecht und mit Staatsschutzverfahren vertraut. Die rechtlichen Fragen seien nicht von solcher Schwierigkeit, dass sie von einem einzelnen Verteidiger nicht bewältigt werden könnten.
Der BGH führte weiter aus, dass auch die Verfahrenssicherung keine zusätzliche Bestellung rechtfertige. Das Risiko eines längerfristigen Ausfalls eines Verteidigers sei überschaubar. Im Falle eines solchen Ausfalls bestünde die Möglichkeit, den bisherigen Verteidiger zu entpflichten und einen anderen zu bestellen. Auch terminliche Verhinderungen einzelner Verteidiger rechtfertigen keine zusätzliche Bestellung, sondern könnten durch Terminvertreter gelöst werden. Die Besetzung des Gerichts mit fünf Richtern und einem Ergänzungsrichter sowie die Anzahl der Staatsanwälte seien für die Entscheidung nach § 144 Abs. 1 StPO irrelevant.
Der Beschluss bekräftigt die restriktive Praxis des BGH bei der Bestellung zweiter Pflichtverteidiger. Er verdeutlicht, dass nicht jedes umfangreiche oder komplexe Verfahren automatisch einen Anspruch auf einen zweiten Pflichtverteidiger begründet. Die Gerichte haben im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob ein unabweisbares Bedürfnis für eine zusätzliche Bestellung besteht.
Der BGH hat mit seinem Beschluss klare Leitlinien für die Anwendung des § 144 Abs. 1 StPO aufgestellt. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Abwägung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls und die Notwendigkeit einer restriktiven Handhabung der Bestellung zweiter Pflichtverteidiger.
Quelle: Beschluss des BGH vom 19.02.2025 - StB 4 - 6/25