Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 21. Januar 2025 einen Beschluss im Abgasskandal verkündet (VIa ZR 190/23), der die Bedeutung des rechtlichen Gehörs im Kontext komplexer technischer Sachverhalte unterstreicht. Das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz wurde aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, da das OLG den Vortrag der Kläger zur Prüfstandsbezogenheit einer sogenannten "Timerfunktion" nicht ausreichend gewürdigt hatte.
Die Kläger erwarben im Mai 2016 ein Wohnmobil, dessen Basisfahrzeug, ein Fiat Ducato, mit einem Dieselmotor der Beklagten ausgestattet war. Sie machten Schadensersatzansprüche wegen des Einsatzes unzulässiger Abschalteinrichtungen, konkret eines "Thermofensters" und einer "Timerfunktion", geltend. Sie verlangten den Kaufpreisersatz abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden.
Kern der rechtlichen Auseinandersetzung war die Frage, ob die im Fahrzeug verwendete "Timerfunktion" eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darstellt. Hierbei spielte die Prüfstandsbezogenheit der Funktion eine entscheidende Rolle. Weiterhin war die Zulässigkeit des "Thermofensters" strittig sowie die Frage, ob der Beklagten hinsichtlich der Verwendung beider Einrichtungen Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.
Der BGH hob das Urteil des OLG Koblenz auf, da dieses das rechtliche Gehör der Kläger verletzt hatte. Das OLG hatte den Vortrag der Kläger, die Motorsteuerung erkenne die Prüfsituation und aktiviere ein spezielles Kennfeld ("Kennfeld NEFZ"), das nach 22 Minuten deaktiviert werde, nicht ausreichend berücksichtigt. Die Kläger hatten zudem vorgebracht, dass die Motorsteuerung anhand von Störgrößen, die im Prüfstand nicht auftreten, erkenne, ob sich das Fahrzeug im Realbetrieb befindet, und in diesem Fall die Abgasrückführung vorzeitig reduziere. Dieses Vorbringen hatte das OLG bei seiner Beurteilung der Prüfstandsbezogenheit der Timerfunktion nicht berücksichtigt.
Die Entscheidung des BGH verdeutlicht die Bedeutung einer sorgfältigen Prüfung des gesamten Sachvortrags der Parteien, insbesondere in technisch komplexen Verfahren wie dem Abgasskandal. Die Zurückverweisung an das OLG ermöglicht nun eine erneute Prüfung der Prüfstandsbezogenheit der "Timerfunktion" unter Berücksichtigung des vollständigen Vortrags der Kläger. Der BGH gab dem OLG zudem Hinweise zur Beurteilung der Notwendigkeit von Abschalteinrichtungen zum Motorschutz und zur Frage der Fahrlässigkeit.
Der BGH-Beschluss stärkt die Rechte der Kläger im Abgasskandal und unterstreicht die Anforderungen an die gerichtliche Sachverhaltsaufklärung. Es bleibt abzuwarten, wie das OLG Koblenz die Sache im weiteren Verfahren beurteilen wird. Die Entscheidung dürfte jedoch Auswirkungen auf weitere Verfahren im Abgasskandal haben, in denen die Prüfstandsbezogenheit von Abschalteinrichtungen streitig ist.
BGH, Beschluss vom 21. Januar 2025 - VIa ZR 190/23