Einführung: Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 5. Dezember 2024 (Az.: 2 C 9/24) entschieden, dass die Annullierung einer Prüfung im Vorbereitungsdienst für den Polizeivollzugsdienst rechtmäßig sein kann, auch wenn die Prüfungsordnung keine explizite Regelung hierfür vorsieht. Der Fall beleuchtet die Spannungsfelder zwischen dem Grundsatz der Chancengleichheit im Prüfungsverfahren und den individuellen Rechten der Prüflinge.
Die Klägerin, eine Polizeikommissar-Anwärterin, hatte im März 2018 die Modulprüfung "Rechts- und Handlungsgrundlagen zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit" nicht bestanden. Im August 2018 nahm sie an der Wiederholungsprüfung teil und bestand diese. Jedoch annullierte der Prüfungsausschuss der Hochschule die Prüfung, da die Prüfungsaufgaben den Teilnehmern bekannt gewesen sein sollen. Die Klägerin bestand eine zweite Wiederholungsprüfung im Februar 2019 und wurde zur Polizeikommissarin ernannt. Sie klagte jedoch gegen die Annullierung der ersten Wiederholungsprüfung, da diese ihrer Ansicht nach rechtswidrig war.
Kernfrage des Verfahrens war, ob die Hochschule die Prüfung rechtmäßig annullieren durfte, obwohl die Sächsische Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Fachrichtung Polizei (SächsAPOPol F2015) keine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage hierfür enthielt. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hatte der Klage stattgegeben und argumentiert, dass der Grundsatz der Chancengleichheit nicht als Rechtsgrundlage für einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Rechtsposition eines Prüfungsteilnehmers dienen könne.
Das BVerwG hob das Urteil des OVG auf und wies die Klage ab. Es stellte fest, dass die Annullierung der Prüfung auf die entsprechende Anwendung der Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts (§§ 48, 2 Abs. 1 SächsVwVfZG, 2 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG) gestützt werden kann. Da die Prüfungsaufgaben aufgrund von Äußerungen des Klausurstellers im regulären Unterricht bekannt waren, entsprachen sie nicht den Anforderungen der SächsAPOPol F2015. Die Prüfung war somit rechtswidrig, und die Annullierung diente der Gewährleistung der Chancengleichheit und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung.
Die Entscheidung des BVerwG stärkt die Prüfungshoheit der Hochschulen und verdeutlicht, dass auch ohne ausdrückliche Regelung in der Prüfungsordnung Prüfungen annulliert werden können, wenn sie rechtswidrig sind. Der Grundsatz der Chancengleichheit und das Interesse an einer qualifizierten Polizeiausbildung werden hierdurch betont.
Das Urteil des BVerwG liefert eine wichtige Klarstellung zum Prüfungsrecht im Polizeivollzugsdienst. Es unterstreicht die Bedeutung der Geheimhaltung von Prüfungsaufgaben und die Notwendigkeit, die Chancengleichheit aller Prüfungsteilnehmer zu gewährleisten. Die Entscheidung dürfte auch für andere Prüfungsverfahren relevant sein und könnte zu einer Anpassung der Prüfungsordnungen führen.
Quelle: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 05.12.2024 - 2 C 9/24 (Pressemitteilung des BVerwG)